ST. PETER-ORDING – DU!
Ich versuche Freunden zu erklären, wie es ist, wenn ich am 23. Dezember durch deine Badallee laufe. Das versteht keiner. Was willst Du dort? Ist doch tote Hose da! Wir könnten doch große Weihnachtsfète in Berlin machen!
Du immer mit Deinem St. Peter-Ording! Pass auf, dass Du nicht wieder in eine Schneekatastrophe kommst, wie damals!
Ach, die Lieben in Berlin… verstehen nichts!
Meine Nachbarn nebenan sind auf den Malediven. Müssen ja auch mal Urlaub machen nach der Saison. Liebe Bekannte in Ording sind wieder einmal in die alte Heimat an den Rhein zur Familie gefahren. Ich laufe an geschlossenen Geschäften vorbei. Ach, schade: Frau Matthiessen hat auch nicht geöffnet. Die Wolle hätte ich jetzt gern eingekauft… endlich hätte ich Zeit, meinen lang geplanten Schal zu stricken. Auch hätte ich gerne einen kleinen Schnack mit ihr gehalten – bin ja auch nicht so oft hier. Die Auszeit hat sie sich sicherlich verdient, nach Trubel, Erholungssuchenden, Urlaubern, Aussteigern, Endlich-Mal-Einen-Drauf-Machenden, allerlei Menschen – einfach mit ihren Ansprüchen und Wünschen.
Und dann führt mich der Weg an der Reithalle vorbei, und ich laufe jetzt erst einmal einfach los Richtung Süd-Strand. Vorne im Restaurant im Vorland ist kein Licht. Ja klar, keiner da! Um diese Zeit, sagen wir im August, wäre die Terrasse voll, vielleicht auch mit dem abendlichen Angebot „Fondue“ auf Vorbestellung. Ja das ist wirklich ein tolles Angebot: mit Sonnenuntergang, weiteren netten Urlaubern und einem schönen kaltem Pils im Glas und der Blick auf die See und die Sandbänke. Und da hinten auf den Strand vom Bad oder zur anderen Seite auf die Pfahlbauten vom Böhler Strand schauen, von hier oben. Ich habe das schon einmal genauso erlebt.
Jetzt aber bin ich allein und laufe dem Abendhimmel entgegen und freue mich über die Windstille und die Vögel (sind es Strandlerchen?), die ihre Melodien wie zum Abendlied erklingen lassen und die Nacht ein piepsen. Überhaupt, was macht dieses Fleckchen Erde so besonders? Warum mag ich gerade auch in dieser ruhigen, ja, vielleicht auch langweiligen Zeit hier sein? Es ist tatsächlich die Ruhe.
Ich denke an die vielen Menschen, die über Generationen ihre Lebensgeschichte hier erlebt und ihre Familiendramen überstanden und diese Erinnerungen auch anderen Generationen weitergegeben haben. Diese dann weiter hier ihr Leben aufbauten und alles weiterführen wollten, vielleicht anders, aber doch verbleibend. Man muss wohl bodenständig sein, um über viele Generationen hier leben zu wollen. Wichtig sind wohl auch Wurzeln, die hier gelegt wurden. Heimat, das große Wort, erringt Bedeutung, wenn Du hier mit den Menschen sprichst, die über mehrere Generationen viele Döntjes erzählen können.
Man muss einfach die Luft, den Wind, das Rauschen des Meeres, die Dunkelheit, aber auch die freundlichen Himmelsstunden gernhaben. „Möwen schrien hell im Sturmgebrus…“, auch das muss man ertragen und dann wieder zum ruhigen und behäbigen Leben zurückkehren können. Habe auch ich schon einmal hier erlebt.
Freunde, wisst Ihr, wie es sich anfühlt im Sand, in aufkommenden Wässern die Zehen allmählich verschwinden zu fühlen? Oder, wenn ich draußen ein wenig im Schlick versinke und ängstlich nach erschreckten Krabben schaue, die mich vielleicht zwicken könnten? Oder, wie als Goldgräber erstaunt, ich plötzlich doch im Graubündel bei ablaufendem Wasser einen kleinen Bernstein erhasche? Oder im richtig eisigen Winter, und das ist nicht oft der Fall, die Eisschollen sich am Strand türmen und ich frage mich, wie geht denn das?
Oder am letzten Tag des Septembers ich mit Freunden in Ording nackt in die Fluten springe, weil es noch so toll warmes Wetter hat, der Sommer aber schon lang vorbei ist? Oder ich laufend auf die Düne zu Maleen (die Arme, die doch so lange auf ihre Liebsten gewartet hatte), genau wie sie auf das Weite des Wassers und über die Dünen von Ording schaue? Oder genau hier begeistert auf den vor mir liegenden weiten Waldgürtel schaue, den man auch Füßlings laufen kann, wenn die Hitze es doch einmal zu gut mit uns meint? Oder, oder…
Jetzt ist die ruhige, auch dunkle Zeit an der See, die mich ehrfurchtsvoll die Natur spüren lässt. Ich bin dankbar für dieses kleine Fleckchen Erde, dass sich nun schon so lange kenne und liebe. Mir fehlen die Einheimischen, die nun doch nicht hier sind. Aber die anderen sind hier und vielleicht genießen auch sie, wie ich, das ruhigere und andere St. Peter-Ording. Durch die einzelnen Ortsteile zu streifen, die erleuchteten, teilweise mit Festbeleuchtung geschmückten Häuser und Fenster zu entdecken, zeigt mir, hier lässt es sich aushalten. Auch in ruhigeren Zeiten.
Es kommt wieder eine nächste Feriensaison und ein neues aufregendes Jahr. Auch dann lässt es sich hier gut aushalten. Ich könnte da und dort und da hinten weiterlaufen, oder an einem der schönen Strandabschnitte, oder von einem zum anderen laufen und die Luft einatmen, egal ob Wind, Regen, Sonne oder Nebel.
Meine Liebe und meine Sehnsucht gilt immer wieder dir, diesem meinem St. Peter-Ording.
Freunde, versteht ihr es jetzt ein wenig besser?